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Ein Fenster in die Erdgeschichte: Eine Reise durch das Geotop

Zwischen Beilngries und Dietfurt liegt eines der einhundert schönsten Geotop in ganz Bayern. Mit seinen 70 Meter hohen Abbauwänden dokumentiert der ehemalige Steinbruch einen Ablagerungszeitraum von etwa 5 Millionen Jahren. Es türmen sich hunderte Schichten von Malm-Kalkstein übereinander, die einen detaillierten Blick in die Entwicklung der Meereslebewesen des oberen Jura ermöglichen. Im Sommer 2017 begleitete Autorin Viola Neue Gästeführerin Maria Kaufmann auf einer Tour durch dieses Fenster in die Erdgeschichte.

Ein unauffälliges braunes Schild an der Staatsstraße zwischen Kottingwörth und Töging zeigt uns den Weg zu einem der schönsten Geotope Bayerns. Am Parkplatz angekommen, beginnt die Tour entlang eines schmalen Pfades über Stock und Stein, inmitten des Waldes. Noch lässt sich nur erahnen, was uns am Ende des Berges erwartet. Vielleicht eine tolle Aussicht. Aber auf was?

„Eigentlich können wir von Glück sprechen, dass wir heute noch hier stehen können“, sagt Gästeführerin Maria Kaufmann, als die Gruppe einen Aussichtspunkt auf halber Höhe des Geotops am Arzberg erreicht hat. „Denn ursprünglich sollte der Main-Donau-Kanal mit diesem Gesteinsmaterial aufgefüllt werden. Sie zeigt auf die hohe Kalkgesteinswand vor uns.
Meine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht, denn in der Tat bietet das Geotop nicht nur einen atemberaubenden Ausblick auf die 70 Meter hohe Steinwand, sondern auch einen Einblick in 5 Millionen Jahre Erdgeschichte. Die verschiedenen waagerechten Schichten aus Malm-Kalkstein erkenne ich aus der Ferne auf den ersten Blick. Doch was wirklich dahinter steckt, wird mir erst mit der Zeit bewusst. „Das Geotop ist ein Fenster in die Erdgeschichte“, sagt Maria Kaufmann bildlich. Das klingt zwar nach einer einfachen Floskel, doch in der Tat trifft das den Kern ziemlich gut. Denn durch die verschiedenen Schichten lassen sich Rückschlüsse auf die klimatischen Verhältnisse und die Flora und Fauna einer längst vergangenen Zeit schließen. Kaum vorstellbar, dass genau an dieser Stelle wo wir heute mit unseren Turnschuhen und unserem Wanderrucksack stehen und tausende Bilder mit dem Smartphone schießen, tatsächlich einmal eine Lagune war. Der gesamte süddeutsche Raum war von subtropischem Meer bedeckt. „Die Durchschnittstemperatur lag hier damals bei rund 23°Celsius“, sagt Kaufmann. Zum Vergleich: Heute beträgt die jährliche Durchschnittstemperatur hierzulande gerade einmal 8°Celsius. Eine andere Welt, die vor rund 200 Millionen Jahren zur Zeit des Jura entstand. 200 Millionen Jahre, was ist das schon? Zumindest für mich ist diese Zahl schwer vorstellbar. Kaufmann gibt eine kleine Denkhilfe: Denn sieht man die gesamte 4,5 Milliarden Jahre lange Erdgeschichte auf ein einziges Jahr zusammengeschrumpft, so beginnt sie am 1. Januar um 0 Uhr, die ersten Menschen gibt es aber erst seit dem 31. Dezember, 22 Uhr. „Die 2,5 Millionen Jahre alte Menschheitsgeschichte ist also nur ein Wimpernschlag in der gesamten Erdgeschichte“, betont Kaufmann. Erst jetzt werden mir die Dimensionen bewusst und mir wird umso klarer, welche geringe Rolle der Mensch eigentlich in der Entwicklung unserer Erde gespielt hat.
Doch woher weiß man das eigentlich alles? Maria Kaufmann blickt in ratlose Gesichter und zückt einen kleinen Gesteinsbrocken aus ihrer Tasche. Bei der Form des Fossils denke ich sofort an eine versteinerte Schnecke, ganz klar. Aber: Falsch gedacht! Kaufmann hebt den Finger. Denn tatsächlich hält sie einen Ammoniten in der Hand, eine ausgestorbene Form des Tintenfischs. Dieses Fossil gilt als Leitfossil, denn an ihm lässt sich das Alter der Gesteins-schichten, in denen es eingeschlossen war, ablesen. Der wechselnde Fossilieninhalt in den Schichten zeigt die Entwicklung der Lebenswelt im Jurameer im Zeitraum von mehreren Millionen Jahren. So erzählt jede der 300 verschiedenen Schichten Malm-Kalkstein tatsächlich ihre ganz eigene Geschichte.
Danach geht der Weg wieder entlang des Pfades zurück. Doch die Reise durch das Geotop ist damit noch lange nicht vorbei. Denn noch beeindruckender ist das Geotop, wenn man es vom Fuße des Berges betrachtet. Ich staune nicht schlecht, als ich die mächtige Kalkgesteinswand inmitten der Natur hinaufblicke. Denn die 70 Meter wirken von hier unten noch viel beeindruckender als aus der Ferne. Vor allem die Atmosphäre in diesem „Gesteinskessel“ ist eine ganz besondere. Denn in absoluter Ruhe, abgeschnitten von der Umgebung, hört man keinen Straßenlärm, keine Baustelle und keine Menschen. Ein Ort der Entspannung und der Muße, der eine lange Geschichte zu erzählen hat. Man muss nur genau hinhören!